Warum ist eine Pflanze giftig? Was nützt der Pflanze ihr Gift?
Dies
sind Fragen, die auch an dieser Stelle nicht umfassend zu beantworten
sind.
Der oft in der Literatur zu findende Hinweis, daß die Gifte
die
Pflanzen
vor Fressfeinden schützen sollen, erweist sich zumindestens
in
einigen Fällen als sehr fragwürdig.
Betrachten wir zum Beispiel die Tollkirsche
(Atropa
belladonna):
L-Hyoscyamin,
das eigentliche Gift der Tollkirsche, wirkt stark
giftig
bei der Einnahme durch den Menschen, andere Tiere (z.B. Vögel)
können
Tollkirschen unbeschadet fressen. Nun könnte man behaupten,
daß
ein Verzehr durch Vögel eher zur Verbreitung der Tollkirsche
führt
als ein Verzehr durch den Menschen. Dies ist zweifelsohne richtig, aber
ist
eine Pflanze in der Lage, sich in der kurzen Zeit, in der der Mensch
diese
Erde bevölkert (respektive in Städten mit
Kanalisation lebt)
auf
diese Gegebenheit einzustellen? War der durch den Menschen
ausgeübte
Selektionsdruck so groß, daß eine ungiftige
Tollkirsche
keine
Überlebenschance hatte? Ich postuliere einfach mal,
daß die
Tollkirsche schon vor dem Auftritt des Menschen L-Hyoscyamin enthielt.
Einen
Beweis dafür muß ich leider schuldig bleiben. Ihre
Beeren
vor
Freßfeinden zu schützen liegt nicht im Interesse
einer
Pflanze,
denn der Zweck der Beeren besteht gerade darin gefressen zu werden, um
so
zu einer Verbreitung der Samen zu führen.
Anders stellt sich der Sachverhalt bei unreifen Beeren dar. Werden
Beeren
gefressen bevor die Samen ihre Keimfähigkeit erreicht haben,
ist
die
Fortpflanzung der Art gefährdet. Entsprechend befinden sich in
nahezu
allen unreifen Beeren Oxalsäure oder andere
organische Säuren, die mit
der
Fruchtreife von der Pflanze abgebaut werden (im Gegensatz dazu bilden
sich
bei den Kürbisgewächsen, etwa der Spritzgurke
Ecballium
elaterium,
die
giftigen
Bitterstoffe bevorzugt in den reifen Früchten). Dies ist in
der
Tat
ein Schutzmechanismus, der eine optimale Fortpflanzung bewerkstelligen
soll.
Betrachten wir Petersilie (Petroselinum
crispum) und Sadebaum
(Juniperus
sabina):
Die
Petersilie
enthält ein ätherisches Öl , das zum
größten
Teil
aus p-1,3,8-Menthatrien besteht und jeder von uns schon mal zu sich
genommen
hat. Der Sadebaum, eine Giftpflanze, enthält ebenfalls ein
ätherisches
Öl, das wiederum zum größten Teil aus
Sabinen besteht.
Sabinen
wirkt auf den Menschen giftig. Hier sehen Sie die beiden Formeln zum
Vergleich:
Groß unterscheiden sich diese beiden Verbindungen nicht,
groß
ist allerdings der Unterschied bei der Wirkung auf den menschlichen
Stoffwechsel.
Viele Pflanzen enthalten solche, Monoterpene genannten Verbindungen.
Teilweise
sind sie giftig, teilweise begehrte Aromastoffe, etwa das Limonen aus
Zitrusfrüchten, mit eher geringem Giftcharakter. Liegt da
nicht
der
Schluß nahe, mehr von einer zufälligen als von einer
zweckbestimmten
Giftigkeit zu sprechen? Zufällig heißt in diesem
Zusammenhang,
daß einige Terpene eben zufällig auf Rezeptoren
passen, die
für
körpereigene Substanzen vorgesehen sind und dort ungewollte
Reaktionen
auslösen.
Noch spektakulärer wirkt die Gegenüberstellung der
folgenden
drei
Verbindungen:
Gramin ist ein harmloses Alkaloid, das unter anderem in der Gerste (Hordeum
vulgare) vorkommt und im
Grundstudium der Chemie
regelmäßig
zur Übung hergestellt wird, N,N-Dimethyltryptamin kommt unter
anderem
in der südamerikanischen Pflanze Ayahuasca-Liane (Banisteriopsis caapi) vor,
ist
ein Rauschmittel und fällt unter das
Betäubungsmittelgesetz
(BTM). Ist es nicht verblüffend, wie ein kleiner Unterschied
in
der
Molekülstruktur einen so großen Unterschied in der
Wirkung
hervorrufen
kann? Skatol schließlich ist ein Produkt des menschlichen
Stoffwechsels.
Gesehen haben Skatol nur wenige Menschen aber riechen tut es jeder
täglich,
der nicht unter Schnupfen oder Verstopfung leidet.
Als letztes Beispiel sei die Kaffeepflanze erwähnt
(Coffea
arabica).
Die Wirkung
des
im Kaffee enthaltenen Coffeins ist eher geschätzt denn
gefürchtet. Coffein ist aber
zweifelsohne
ein Alkaloid, ein Alkaloid ohne nennenswerte Giftwirkung allerdings.
Welchen
Nutzen hat das Coffein für die Pflanze? Diesmal
möchte ich
Coffein
mit einer Verbindung vergleichen, die in unserem Körper
gebildet
wird:
Vergewissern wir uns, daß eine Pflanze keine Möglichkeit hat Stoffwechselprodukte auszuscheiden (außer Sauerstoff). Liegt es da nicht nahe, einfach davon auszugehen, daß viele Pflanzeninhaltsstoffe schlichtweg Abfallprodukte des pflanzlichen Stoffwechsels sind. Bliebe noch zu untersuchen, ob ungiftige Pflanzen nicht auch solche Stoffwechselprodukte bilden, die bisher nur unerkannt geblieben sind, weil sie keine (erkennbare) Wirkung auf den menschlichen bzw. tierischen Organismus haben.
Es gibt viele Versuche, den Sinn der Giftigkeit einer Pflanze zu erklären. In sich schlüssig sind jedoch nur die wenigsten Ansätze. Vieles was da wiedergegeben wurde, scheint seine Daseinsberechtigung alleine aus dem Fehlen einer besseren Erklärung zu ziehen. Glücklicherweise ist die Frage nach dem Zweck von giftigen Pflanzeninhaltsstoffen keine existenzielle, und vielleicht ist gerade dies der Grund für die bisher eher dürftigen Erklärungsversuche.